Gemeinsam-Preis 2019

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Bis zu zehn Millionen Menschen in Deutschland halten sich im näheren Umfeld eines Suchtkranken auf. Diesen sogenannten Co-Abhängigen habe ich nun ein eigenes Buch gewidmet(„ Alkohol – Hilfeschrei“). In diesem biete ich Betroffenen nähere Beratung, Tipps, Verständnis und Hilfe zu ihrer jeweiligen Situation. Neben der informativen Heranführung an das bisher totgeschwiegene Thema, kommen auch Betroffene zu Wort. Familien, Partner, Kinder, Bekannte und Kollegen bilden die Schwerpunkte. „Du bist nicht allein. Lass Dir helfen.“

Unterstützt wurde ich bei der Recherche unter anderem von der ausgebildeten Suchtberaterin Monika Fritzke aus Braunschweig. Sie und ihre Kollegin Inga Schlaak unterstützen im Braunschweiger Lukaswerk Partner, Kinder oder Eltern von Suchtkranken. Im wöchentlichen Wechsel leiten die beiden die Gruppen für Angehörige von Suchtkranken. Ein verantwortungsvolles Ehrenamt, mit unglaublichem Einsatz ausgeübt und seit über 11 Jahren mit großem persönlichen Einsatz ausgefüllt. Über 9000 Personen besuchten die Gruppen und dabei bleibt es nicht, denn fast täglich suchen Betroffene den direkten Kontakt zu den beiden ausgebildeten Suchtkrankenhelferinnen.

Die Braunschweiger Zeitung unterstützt die Ehrenamtler und verleiht ihrer Tätigkeit eine besondere Würdigung, sie wählt die Ehrenamtler 2019. Um sich zu beteiligen bitte hier klicken!

Ich bewundere den Einsatz der beiden Frauen seit langem und habe ihnen einige Fragen gestellt. Da ich beide nicht gleichzeitig „erwischen“ konnte, habe ich die Fragen schriftlich gestellt, hier ihre Antworten

Monika Fritzke und Inka Schlaak

Wie würdet Ihr das beschreiben, was Ihr derzeit macht, in welchem Rahmen und wo?

Monika: Wir arbeiten auf der Basis: nur wenn auch der Angehörige eines Suchtkranken sich verändert, ändert sich etwas. In der Gruppe werden persönliche und allgemeine Themen im Bereich der Sucht und deren Folgen für die Angehörigen besprochen sowie Strategien entwickelt, wie ein Schutz vor der psychischen Belastung aussehen könnte.

Inka: Monika und ich leiten die beratende Gruppe für Angehörige von Suchterkrankten. In dieser Gruppe wird den Ratsuchenden die Möglichkeit gegeben sich zu öffnen und das lange geheim gehaltene Familiengeheimnis an die Öffentlichkeit zu bringen. Wir geben auf die vielen Fragen eine Antwort und suchen gemeinsam einen Weg aus der Co-Abhängigkeit, die man sich im Laufe der Zeit zum Suchterkrankten aufgebaut hat. Wir führen und begleiten die Angehörigen durch die unterschiedlichen Phasen einer Rehabilitation des Erkrankten oder in dem eigenen Wunsch nach Abgrenzung. 

Monika: Wie leiten zwei Angehörigengruppen auf rein ehrenamtlicher Basis. Rein ehrenamtlich bedeutet für uns, wir erhalten auch nicht die „übliche“ Ehrenamtspauschale o.ä.

Lediglich die Räume und inzwischen Flyer werden von dem Lukas Werk in Braunschweig gestellt.

Die Gruppen finden jeden Montag und jeden Mittwoch statt, jeweils 2,5 Stunden.

Wir unternehmen zudem in unregelmäßigen Abständen mit den Gruppenteilnehmern etwas, wie z.B. Kinobesuche, Grillnachmittag, Restaurantbesuche, Schießwettbewerbe, Bootstouren u.ä., um auch die sozialen Kontakte wieder zu fördern, Lebensfreude zu vermitteln.

Inka: Ich habe eine Ausbildung zur Suchtkrankenhelferin gemacht, um die Interaktion zwischen einem Angehörigen und dem Erkrankten in gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung beratend begleiten zu können. Es ist mir in meiner Arbeit wichtig den Menschen, seine Geschichte und die sich draus ergebenden Möglichkeiten zu sehen. Es gibt kein Rezept für den Wunsch vieler Angehörigen, das alles wieder gut wird! Alles braucht seine Zeit und die individuelle Strategie, um einen tragbaren Kompromiss zu finden, mit dem man leben kann. Die Angehörigengruppe im Lukas Werk Braunschweig findet Montag und Mittwoch (auch in den Ferien) von 16:30 Uhr bis 19 Uhr statt. Darüber hinaus sind meine Kollegin und ich rund um die Uhr für Ratsuchende Angehörige innerhalb (und außerhalb) der Gruppe telefonisch und per Mail  erreichbar. 

Wie seid Ihr dazu gekommen, was war der Auslöser oder der Anlass?

Monika: Ich bin 2009 selbst als Angehörige in diese Gruppe gekommen. Mein Vater war Alkoholiker und auch nach seinem Tod hat mich das Thema Sucht bei meinen Partnerschaften immer wieder eingeholt. Die seelischen Wunden aus der Kindheit haben sich bis in das erwachsenen Alter immer wieder bemerkbar gemacht und ich habe mich zu einer „fast typischen Mitbetroffenen“ entwickelt. In 2011 habe eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin gemacht und bin zur zweiten  Gruppenleitung geworden.

Nach einiger Zeit „mussten“ wir eine zweite Gruppe gründen, weil die eine Gruppe eine Teilnehmerzahl erreichte, die zu groß wurde, um noch individuelle Gespräche führen zu können. Bei uns in den Gruppenstunden soll für jeden Teilnehmer Gesprächszeit vorhanden sein.

Inka: Schon zu meiner Geburt war meine Mutter Alkoholikerin und das ist auch heute noch. Sie hat für sich nie eine Therapie angestrebt und ihren Konsum Jahrzehnte verleugnet. Das typische Verhalten eines Suchterkrankten, sich selber immer besser darzustellen und seine Umwelt klein zu halten, traf mich als Kinder besonders hart! Der ständige Wunsch nach der Anerkennung und Liebe durch meine Mutter, bestimmte lange Zeit mein Leben. Ich war aus eigener Kraft nicht in der Lage mich aus der Co Abhängigkeit / Manipulation zu befreien. Erst als meine Tochter neun Jahre alt war und mir deutlich sagte, dass sie was gegen den psychischen Terror, den meine Mutter bei mir auslöste, unternehmen wolle, wurde ich wach und suchte mir Hilfe. In der Angehörigengruppe und in unzähligen therapeutischen Gesprächen gelang es mir, meine Mutter in Liebe loszulassen und die schrecklichsten Stunden, Tage, Monate und Jahrzehnte offen auszusprechen.

You can change your life every day!!!

Als vor mehr als 10 Jahren die Gruppenleitung in der Angehörigengruppe nicht mehr besetzt werden konnte, wurde ich gefragt, ob ich mir die diese Aufgabe zutrauen würde. Ich habe in Absprache mit meiner Familie diese wichtige Aufgabe angenommen, auch um selber am Thema dranzubleiben. Ich habe in den Jahren als Gruppenleiterin so viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und deren Wertschätzung erfahren dürfen, was mich als Mensch jeden Tag neu prägt.

Wie viel Zeit investiert ihr und was macht IHR wenn es Euch schlecht geht (Anm. Ich weiß das die Arbeit sehr intensiv und kräftezehrend ist, deshalb die Frage)?

Monika: Ich habe mich bisher nicht damit beschäftigt, wieviel Zeit wir einsetzten. Pro Gruppenabend sind es 2,5 Std und unsere beiden Gruppen finden wöchentlich statt. Dann kommen die Zeiten dazu, die wir per Mail, WhatsApp, (Telefon) einsetzen. Zusätzlich noch Teilnahme an Veranstaltungen der Suchtberatungsstelle (Kooperationstreffen, Arbeitskreis, Runder Tisch Spiel usw.). Wir treffen uns recht regelmäßig mit Gruppenleitungen des Freundeskreises, um uns dort auch auf dem Laufenden zu halten.

Wenn es passt, die Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Selbsthilfetag (der findet jetzt aktuell wieder in Braunschweig am 25.05.19 statt) oder den AFL Fachtagen….wie jetzt am 22.06.19 wieder mit dir, lieber Burkhard!

Es in tatschlichen „Stunden“ festzumachen, wäre nicht möglich und müßig.

Wenn wir mal an unsere Grenzen kommen, besprechen wir es untereinander. Auch der Austausch mit dem Freundeskreis ist sehr hilfreich.

Inka: Zeit ist ein relativer Begriff, insbesondere in der Suchtarbeit kann er nicht mit einer Zahl bemessen werden. Alles was ich von mir für Ratsuchende gebe, ist völlig freiwillig und wird nicht von äußeren oder inneren Umständen bestimmt! Als inzwischen erwachsenes Kind einer Alkoholikerin, bin ich besonders engagiert, wenn es um Kinder in Suchtfamilien geht. Sollte es vorkommen, dass bei mir ein Gedankenkarussell in Gang gesetzt wird, dann tausche ich mich mit meiner Kollegin aus oder suche Rat im therapeutischen Team im Lukas Werk.

Wir kennen uns ja aus der Betreuung in eine SHG im Internet – Was sagst Ihr zum Unterschied Internetgruppe(z.b. Facebook) zur realen Selbsthilfegruppe?

Monika: Eine reale Gruppe ist aus meiner Sicht nicht zu ersetzen.

Auch ich bin in einigen Gruppen im Internet registriert und verfolge dort die Verläufe, kommentiere auch immer mal wieder einiges…. jedoch immer mit dem Hinweis, sich eine reale Gruppe zu suchen.

Wer tatschlich an der Leidensgrenze ist, nimmt sich auch die Zeit, bewusst Hilfe von anderen zu holen, sich deren Erfahrungen anzuhören usw.

In den Internetgruppen werden manchmal täglich die „Frustgeschichten“ niedergeschrieben, dann in den TV Werbezeiten die Kommentare angeschaut…aber nichts wirklich verändert. Das kann für den Frustabbau gut sein, für eine langfristige Veränderung/Lösung bedarf es der realen Gruppe.

Inka: Jede Gruppe die ratsuchenden Menschen eine Hilfestellung geben kann ist wichtig. Wir beraten ja auch per Internet, wenn es nötig ist. Ich habe jedoch in meiner Arbeit die Erfahrung gemacht, dass sich Angehörige in ihrer Co-Abhängigkeit schon so gut eingerichtete haben, das sie die Manipulation durch den Erkrankten als Normalität betrachten. Das Zulassen neuer Sichtweisen, die erschreckende Erkenntnis der Co- Abhängigkeit und die Befähigung damit umzugehen, spiegelt sich im Gesicht wieder. Darum ist es für mich wichtig, mit den Menschen die mit mir gemeinsam den Weg aus der Co-Abhängigkeit gehen möchten, in ihr Gesicht zu blicken. Es verrät mir, was noch nicht laut ausgesprochen wurde, wo wir gerade stehen oder wohin die Reise gehen soll. 

Wie lautet Euer Ratschlag für die Mit-Betroffenen/Angehörige?

Monika: Die Personen müssen selbst etwas ändern wollen. Der Suchtkranke ebenso, wie der Angehörige. Erst dann, also wenn der Leidensdruck hoch genug ist, wird eine Veränderung funktionieren.

Es geht nicht um fallen lassen, denn das würde bedeuten, Hilfe die der Gesundung dient, zu verweigern.

Es geht nur mit loslassen, d.h. Distanz herstellen, jedoch Hilfestellungen geben, wenn sie erbeten werden und der „Genesung“ dienen.  In Liebe loslassen…. nicht mit Wut und Hass fallenlassen.

Angehörige/Mitbetroffene sollen mehr auf sich schauen, sich selbst achten, etwas für sich tun.

Für den Suchterkrankten müssen sie nichts tun, was er selbst könnte (egal, ob er es dann auch macht… das liegt in seiner Verantwortung)!!!

Inka:  Wir können nicht alle retten, das müssen wir so schmerzhaft es ist akzeptieren. Jeder Angehörige bleibt für sein lebelang mit dem Sucherkrankten verbunden, das bringt die gemeinsame Geschichte mit sich. Die quälende Frage nach dem WARUM? Kann nur so beantwortet werden, dass jeder Mensch das Recht hat, sein Leben selber zu bestimmen! Wer sich dazu entschließt ein Suchtmittel zu konsumieren geht nicht von heute auf morgen in die Abhängigkeit! Es gibt dazwischen viele Punkte und Momente, um den Weg in die Abhängigkeit zu stoppen, wer das nicht tut, ist selber für die Konsequenzen verantwortlich! Angehörige haben nicht Schuld, es sei denn, sie ermöglichen dem Betroffenen den Konsum des Suchtmittels!

Sie werden es nicht alleine schaffen, sich aus der Co-Abhängigkeit zu befreien! Nehmen sie die Hilfe der Angehörigenarbeit an und arbeiten sie die schmerzlichen Stationen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf!

Zwei bemerkenswerte Frauen deren bewundernswerten Einsatz honoriert werden kann,darf und sollte.

Kontakt:Inka Schlaak, Telefon 0151/22963500,E-Mail Inkaschlaak@outlook.de und Monika Fritzke,Telefon 0157/79371609,E-Mail Monika.Fritzke@web.de

Wer sich an der Abstimmung beteiligen möchte, die Abstimmung läuft noch bis zum 18.Mai findet HIER die Möglichkeit.

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