Gruppen nur für Angehörige?
Im Gespräch mit Monika Fritzke und Inka Schlaak(ehrenamtliche Suchthelfer*innen)
Das Zusammenleben mit einem Suchtkranken ist belastend. Die Mit-Betroffenheit (wie ich sie mehr und mehr nenne) der Angehörigen und ihre Belastungen, ihre Probleme und ihr Leiden werden häufig unter dem Begriff der Co-Abhängigkeit zusammengefasst. Immer da, wo jemand süchtig ist, sind andere Menschen (Angehörige, Kinder, Freunde, Kollegen) „mit-betroffen“. Sie leiden unter den Auswirkungen der Sucht und verstricken sich mehr und mehr in den Bemühungen dem Suchtkranken zu helfen.
Monika Fritzke und Inka Schlaak sind ausgebildete ehrenamtlichen Suchtkrankenhelfer*innen und seit einigen Jahren Leiter*innen v. Angehörigengruppen im Großraum Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter und Umland.
Ich habe mit Ihnen über ihre Arbeit gesprochen.
Neben den „normalen“ Selbsthilfegruppen, kümmert Ihr Euch intensiv um die sogenannten Co-Abhängigen, also um Mit-Betroffene?
Immer wieder, wenn wir in Gesprächen mit anderen Suchtselbsthilfegruppen sind, wundern sich viele, dass wir reine Angehörigengruppen haben.
Ja, in unseren beiden Gruppen sind keine Betroffenen, keine Suchtkranken, sondern nur Mitbetroffene, nur Angehörige.
Es sind Partner*innen, erwachsene Kinder, Eltern, Geschwister, Großeltern von Suchtkranken.
Ob es sich beim Suchtmittel um Alkohol, illegale Drogen oder Spiele (Automaten oder Online) handelt – die Not der Angehörigen ist stets die gleiche. Das und die Altersstruktur (19- 77 Jahre) sind „das gemischte“ in unseren Gruppen.
Die Suchtsymptome sind sehr, sehr ähnlich.
Warum reine Angehörigengruppen?
Viele Suchtselbsthilfegruppen werden von Suchtkranken zu Beginn, meistens aber erst nach der Therapie besucht. Dann gehen manchmal Partner*innen „unterstützend“ mit.
Uns ist es wichtig den Angehörigen bereits in der vorherigen Phase, wenn der Suchtbetroffene seine Sucht noch leugnet, der Angehörige aber bereits unendlich leidet, Unterstützung zu bieten. In dieser Phase sind viele Mitbetroffene eher bereit, über die Ängste, Sorgen, Überforderungen, Schuldgefühlen, Verletzungen, Einsamkeit, selbst aufgebürdeten Verantwortung, Isolation zu sprechen, wenn Menschen da sind, denen es ähnlich geht.
Viele kommen tatsächlich um nur erst einmal zu schauen, ob es anderen auch so geht und sie nicht alleine mit dieser Not sind.
Welche Fragen haben diese Menschen?
Ein Großteil der Eltern von suchtkranken Söhnen/Töchtern leiden unter Schuldgefühlen und der Frage „Was habe ich in der Erziehung falsch gemacht?“ Sie suchen zwar Antworten auf diese Fragen, jedoch meistens nicht bei Suchtkranken, sondern eher bei anderen Eltern (… „denn denen geht es ja ähnlich“).
Erwachsene Kinder leiden seit der Kindheit unter der Sucht eines Elternteils. Diese Zwiespältigkeit von „Ich will nicht mehr mit ansehen, wie du dich todsäufst“ und „Ich laß dich nicht im Stich, ich mache alles für dich“, trauen sich ganz viele nicht mit Suchtkranken zu besprechen. Das Vertrauen in Suchtkranke, auch in langjährig trockene, ist zu Beginn des Hilfesuchens noch nicht gegeben.
Darum suchen sie sich Unterstützung und Hilfe in reinen Angehörigengruppen.
Welche Botschaft habt Ihr für die Angehörigen?
“Du bist kein Retter“, „Schuld gibt es nicht und du bist nicht verantwortlich“, „Du bist kein Therapeut und auch kein Therapieassistent!“
„Biete deine Unterstützung an, aber den Weg in den Abgrund geh nicht mit!“, „Loslassen – ohne fallenzulassen.“ …egal ob Partnerin, Mutter oder erwachsenes Kind.
Ihr betreut und unterstützt die Menschen auch in der Zeit der Therapie für den Suchtkranken?
Auch während der Suchttherapie des Betroffenen hat der Angehörige bei uns die Möglichkeit, sich auf „das Leben danach“ vorzubereiten. Denn auch bei den Mitbetroffenen bedarf es häufig einiges an „Veränderungen“ und loslassen von alten Verhaltensmustern.
Nach der Therapie des Suchtkranken möchte man wieder zueinander finden, sich neu kennen lernen, Vertrauen fassen. Da ist es wichtig, dass man unabhängig von einander in seinen jeweiligen Gruppen über Probleme sprechen kann.
Was unterscheidet Eure Gruppe von gemischten Gruppen?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Angehörige (oftmals Partner*innen) in gemischten Gruppen nicht den Mut haben, von Rückfallankündigungen u.ä. zu berichten, weil sie Befürchtungen haben, wie sich das auf den Betroffenen auswirkt. In einer reinen Angehörigengruppe sprechen sie alle Punkte an.
Der Suchtkranke und ein mitbetroffener Angehöriger haben oftmals viele Parallelen im Verhalten. Der Suchtkranke fokussiert sich auf sein Suchtmittel. Der Angehörige fokussiert sich auf den Betroffenen (macht ihn damit fast zum eigenen Suchtmittel). Diese „Fokussierung“ zu durchbrechen „erlernt“ der Betroffene in einer Therapie…. Der Angehörige braucht ähnliche Möglichkeiten. Diese bieten wir in der Gruppe.
Wir kooperieren ganz eng mit Gruppenleitern aus dem Braunschweiger Freundeskreis (trockene Alkoholiker). Auf diesem Weg organisieren wir ca. zwei Mal im Jahr Veranstaltungen, bei denen die Angehörigen sich mit trockenen Suchtkranken austauschen können. Themen sind z.B. Suchtgedächtnis, Rückfall usw.
Durchschnittlich bleiben Angehörige zwei Jahre „aktiv“ in der Gruppe, d.h., sie nehmen regelmäßig teil.
Viele Selbsthilfegruppen sind inzwischen überaltert und junge Menschen finden oft keinen Zugang mehr, wie sieht das bei Euch aus?
Wir haben seit ein paar Monaten zu unserer großen Freude „Nachwuchs, Vertretungen, Mitstreiter“ gefunden. Zwei unserer Gruppenteilnehmerinnen möchten nun nach langer Teilnahme als Angehörige, den Schritt in die Ausbildung zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin gehen. Leider finden zur Zeit die Ausbildungen, die wir selbst über mehrere Monate erhalten haben, nicht statt. Aus dem Grund nehmen sie, bis es die Möglichkeiten wieder gibt, als Co-Gruppenleitung teil.
Seit 2009 besteht unser Angebot der Angehörigengruppen in Braunschweig und seit über sieben Jahren leiten wir zwei Gruppen, die sich jeweils montags und mittwochs wöchentlich in Braunschweig treffen.
Derzeit finden unsere Gruppen als Videogruppentreffen (statt Präsenztreffen) statt. Wir nutzen eine Plattform, die vom Laptop, Tablet und auch Smartphone genutzt werden kann, ohne gesonderte Software oder App. Um die Treffen per Video in dem Rahmen zu gewährleisten, dass jeder Teilnehmer „seine Zeit“ erhält, sind Anmeldungen dafür unabdingbar.
Gibt es weitere Angebote, insbesondere jetzt zu Corona-zeiten, um die Mitglieder der Gruppen zu erreichen?
Wir informieren unsere aktiven Gruppenteilnehmer und auf Wunsch auch „Inaktive“, alle zwei/drei Wochen über Themen aus dem Suchtbereich, Hinweise auf Dokus, Medienberichte u.ä. per WhatsApp oder sie erhalten Texte, wie z.B.:
(Du musst nicht lernen mehr auszuhalten, sondern du musst lernen, nicht mehr alles zuzulassen)
Hallo in die Runde,
Angehörige versuchen oft alles zunächst allein, bevor sie merken, dass sie es so nicht schaffen können.
»Nicht nur jemand der erkrankt ist benötigt Hilfe, oft sind die umgebenden Personen überlastet oder überfordert. «
Der erste Weg aus der Sucht in die Abstinenz ist häufig die Erkenntnis, dass es nicht allein zu schaffen ist. Dabei ist es nicht unbedingt relevant, wer sich zuerst Hilfe sucht, der Suchterkrankte oder der Angehörige. Der Wille zur Veränderung ist wichtig. Entscheidend ist, dass mindestens einer in der Familie beginnt, sich “zu bewegen”… und/oder nicht stehen bleibt/weiter geht. Stehen bleiben ist immer Rückschritt! Es schleichen sich sofort alte Muster, bei allen Beteiligten, ein.
Markante Aussagen, die wichtig sind, um auf dem Weg zu bleiben:
1. Suchtkranke hören nicht was du sagst, sie sehen was du tust.
2. Der Süchtige hat kein Problem mit dem Suchtmittel, sondern ohne!
3. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob man noch um den Menschen kämpft, oder nur noch um das Gefühl, das dieser in einem hervorgerufen hat.
Egal wie steinig der Weg ist, wie schwer es gerade in der jetzigen Zeit ist… bleibt nicht stehen.
In eurem seelischen, emotionalen und gesundheitlichen Interesse!
Ein schöner Abschluß für unser Gespräch, Inka und Monika, ich danke Euch und wünsche Euch für Eure Arbeit alles Gute und bleibt gesund.
Weitere Fragen beantworten die Suchthelfer*innen gerne hier:
Monika Fritzke monika.fritzke@web.de
Inka Schlaak inkaschlaak@outlook.de

(16 Euro-incl Porto und persönlicher WIdmung)
10. April 2021 um 12:40 Uhr
Das Thema getrennte Gruppen finde ich äußerst interessant, vor allem seit ich Dienst am Nottelefon der Guttempler leiste. Gerade jetzt in Corona Zeiten rufen verstärkt Angehörige an und Fragen um Rat ! Ich finde die Aussagen der beiden Frauen sehr konkret und Handfest und sollte meiner Meinung nach als Bsp.zum nachmachen Anregen! Ein sehr interessantes und weiter zu praktizierender Thema . Danke
10. April 2021 um 12:56 Uhr
Danke lieber Jürgen, ich freue mich immer über Kommentare und “weiter verbreiten” ist natürlich gerne gewünscht. Mein (ehrenamtliches) Bestreben ist natürlich die Unterstützung der Angehörigen, auf welchem Weg auch immer.
15. April 2021 um 22:41 Uhr
Danke Jürgen Grimm!
In der Phase, in der der Suchtkranke seine Sucht noch krankenuneinsichtig auslebt, ist es den meisten Angehörigen emotional nicht möglich, eine gemischte Gruppe zu besuchen.
Außerdem gibt es für Angehörige kaum Hilfsangebote. Selbst Psychotherapien laufen oftmals über Jahre(!!!) komplett an der Ursache vorbei, weil wenige Psychotherapeuten überhaupt an diese Thematik rangehen.
Wir haben bei uns nicht wenige Angehörige, die bereits die unterschiedlichsten Therapien bei Psychologen, Psychiatern usw. durchlaufen haben, aber der Bereich der “Mitbetroffenheit” und “gefühlsabhängige Verhaltensmuster” wurde komplett außen vor gelassen.